Die Heimkehr des Odysseus – ein mythologisches Flüchtlingsdrama mit Happy End

von Claudio Monteverdi / Premiere am 20.02.2016

 

aus Der neue Merker von Larissa Gawritschenko und Thomas Janda

Was ist das Faszinierende am Mythos? Dass er sich immer wieder neu interpretieren lässt! Und so wie Claudio Monteverdi sich von diesem Stoff angezogen fühlte, so fasziniert die Geschichte den Regisseur Christian Georg Fuchs. Gespielt wird die Oper von Sängern und Puppenspielern. Die Aufführung ist eine Koproduktion des Theaters Erfurt mit dem Puppentheater Waidspeicher. Zum dritten Mal findet eine solche Zusammenarbeit statt.

Regisseur Christian Georg Fuchs verspricht vor der Premiere: „auf diese aktuellen Parallelen aufmerksam zu machen“, gemeint ist das derzeit alles beherrschende Flüchtlingsthema. Odysseus ist nach dem Trojanischen Krieg ein lange Zeit Herumirrender. Heimatlos und verachtet will er eigentlich nur zurück zu Frau und Kind. Monteverdi hat diese Sehnsuchtsarien eindringlich komponiert.

Im Prolog stellt Monteverdis Oper die dramatische Ausgangssituation dar: „Sterblich bin ich, ein Mensch“, weiß Odysseus. Er ist ein Spielball der Götter. Vergebens sucht er nach einem Ort ohne Gefahr, wo seine Gattin Penelope 20 Jahre sehnsüchtig auf ihn gewartet hat – so lange, dass sie es gar nicht mehr glauben kann, ihn lebendig zu sehen. In der Anfangsszene stellt Regisseur Christian Georg Fuchs einen Odysseus, mit Plastikhandfessel gebunden, vor, der von den Angestellten einer Sicherheitsfirma gehindert wird, seinen Weg fortzusetzen. Erst als die Handfessel durchgeschnitten wird, kann der Sänger Máté Sólyom-Nagy als Odysseus in seine Puppenrolle schlüpfen. Regisseur Christian Georg Fuchs verzichtet auf Illusionistisches, Sänger und Gliederpuppen sind zweierlei und doch vereint. Die Hauptführung der Puppen wird von den Puppenspielern erledigt, die emotionalen Bewegungen führen die Sänger aus. Als Kulisse dienen orange Kästen mit Rollen und ein schlichtes Segelboot-Modell. Diese wenigen Gegenstände genügen auch, um die jeweiligen Situationen überzeugend darzustellen. Die Bühnenbild-Konzeption für die Studioinszenierung stammt übrigens auch von Christian Georg Fuchs.

 

Die reduzierten Kostümentwürfe entwickelte Mila van Daag, die schon einmal für eine Koproduktion mit dem Puppentheater Waidspeicher, nämlich die Bühnenbilder für Der Ring des Nibelungen (an einem Abend), abgeliefert hat. Die Zurückhaltung in der Kostümierung unterstützt die Bühnenpräsens der Puppen sehr gut.

 

Grundsätzlich führen die Puppenspieler ihre Figuren, sie betreiben die Positionierung und normale Bewegung. Die Sänger sorgen für den emotionalen Impuls in den Bewegungen. Immer wieder wechseln sich auch Puppen- mit Sängersoloauftritten ab. Es sind die vielen kleinen sparsamen Gesten, die es aufmerksam wahrzunehmen gilt. Und in den Details steckt viel Humor, wenn z.B. bei der Schiffsüberfahrt Sänger- und Spielerhände mit großen Augen beringt werden, die dann ganz wirkungsvoll „über die Reling glotzen“. Da zeigt sich viel Spielwitz mit hohem Unterhaltungswert.

Getragen wird die Studioinszenierung von einem kleinen Orchester unter der Leitung von Samuel Bächli. Da Claudio Monteverdis Partitur bekanntlich sehr fragmentarisch ist, lässt sie auch für eine musikalische Interpretation große Freiräume offen, gerade in der Besetzung der Instrumente. Das ist hörbar beim Schlagwerk, wobei der Pauker-Auftritt gleich in der Inszenierung mitverwertet wird. Auch einige Blasinstrumente wie eine Bassklarinette und ein Akkordeon sind wohl für Monteverdi eher untypisch. Samuel Bächli gelingt an diesem Abend ein einfühlsamer kammermusikalischer Ton, der die Sänger vor allem in ihrer subtilen Interpretation unterstützt. Zerbrechlich wirken sie und dabei ebenso kraftvoll und präsent. Einzelne Instrumente hat Bächli auch den Figuren zugeordnet, z. B. die Harfe dem Odysseus und Laute und Gambe der Penelope. Ein Vibraphon soll den Eumaios (Schafhirten) unterstützen und der Schmarotzer Iro wird hauptsächlich von einem Marimbaphon getragen. Das Akkordeon nennt Bächli schelmisch „das Lieblingsinstrument der Götter“. Samuel Bächli erhöht die Zahl der mitspielenden Musiker und reduziert sie zum Schluss. Damit steigert er die Dramatik bis zum Höhepunkt des Auftretens der gierigen Freier am Hofe Penelopes. Streicher setzt er ein, wenn nicht gesungen wird. Vor dem großen Kampf zwischen Odysseus und den Freiern gibt es vom Balkon eine eindrucksvolle Bläserfanfare.

Máté Sólyom-Nagy verkörpert den Odysseus gesanglich und spielerisch exzellent. Kraftvoll, zielbewusst und zwischendurch lyrisch verzweifelt. Beides gelingt ihm überzeugend. Ihm steht Katja Bildt (Penelope) gegenüber. Mit ihrem Mezzosopran verkörpert sie die sehnsuchtsvoll Verzweifelte, aber auch die schon fast verlorene Hoffnung auf eine glückliche Rückkehr. Sie fasziniert durch dunkle Tongebung und mit herber Strenge und vollendet alles in einer runden Gesamtwirkung. Die Lamenti Monteverdis sind ihr wie auf den Leib komponiert.

Julian Freibott als Eumaios will zielgerichtet der neue Herrscher werden und KS Jörg Rathmann(Iro) ist ein gieriger Schmarotzer. Freibotts jugendlich strahlender Tenor und Rathmanns buffohafte Spielweise ergänzen sich gut. Julian Freibott, noch neu im Ensemble, begeistert mit forschem Spielwitz und brillantem Gesang. Jörg Rathmann gibt dem Stück die clowneske Würze. Besonders seine Würstchen- und Popcornparty mit dem Bewurf der Ordnungskräfte zeigen seine Aktionsfähigkeit. Aber auch als lamentierender Iro ist er perfekt.

 Anita Rosati singt mit einem glockenhellen strahlenden Sopran die Rolle der Athene. Wenn ihre Puppe mit weißen Federflügeln heranschwebt, dann übergießt sie auch das Publikum mit sphärischen Schwingungen. Um bei den Göttern zu bleiben, da wären Vazgen Ghazaryan als Wasser-Gott Poseidon und Catriona Morison als Göttervater Zeus. Vazgen Ghazaryan hat immer einen diabolischen Bass parat, um gewalttätige Rollen mit Gänsehautergebnis zu singen. Er lässt die Studiobühne vibrieren und füllt den Raum mit seiner Stimme gänzlich aus. Die schottische Mezzosopranistin Catriona Morison verkörpert auch zwei Rollen, neben Zeus singt sie auch einen Freier. Sie versteht es beide Charaktere sehr unterschiedlich und wirkungsvoll zu interpretieren.

Katrin Filip verkörpert gleich zwei verschiedene Rollen hervorragend, sie spielt Telemachos, den Sohn von Penelope und die Dienerin Melantho. Ihr Sopran hat ein schön fließendes Timbre und wirkt sehr expressiv.

Für den Regisseur verkörpern die Puppen die grundsätzlichen menschlichen Schicksale und Erfahrungen. Die Erfurter Puppenspieler: Kristine Stahl, Paul Günther, Karoline Vogel und Tomas Mielentz sowie Martin Vogel haben diesen Theaterabend zu einem Erfolg werden lassen. Die Zusammenarbeit mit den Sängern haben sie sehr gleichberechtigt geführt und so eine gemeinsame Herausforderung bewältigt. Ihre bescheidene Mitarbeit bildet das Rückgrat der Aufführung.

 

Puppenkörper von Florian Schmigalle

Regisseur Christian Georg Fuchs hatte bei den Probenarbeiten seine Absicht erklärt, möglichst viele Anstöße zur Flüchtlingsproblematik in die Inszenierung einfließen zu lassen. Wenn man bedenkt, dass gerade an diesem Premierenwochenende ein Bus mit Flüchtlingen in einem erzgebirgischen Dorf behindert werden sollte. Und wenn man bedenkt, dass der Betreiber des dortigen Flüchtlingsheimes ein ausgewiesenes AfD-Mitglied und politischer Gegner von Flüchtlingsasyl, gleichzeitig aber ein wirtschaftlicher Profiteur der Misere ist, dann stellen sich viele Fragen der Inszenierung, ganz aktuell.

Anschauen und diskutieren lohnt sich. Das fand auch das Erfurter Publikum und applaudierte intensiv und ausdauernd.

 

Die Heimkehr des Odysseus.

Theater Erfurt und Theater Waidspeicher Erfurt

Premiere: 20.2.2016

Regie und Bühne: Christian Georg Fuchs

Kostüme: Mila van Daag

Photos: Lutz Edelhoff